Wilhelm Schmid: Unglücklich sein. Eine Ermutigung.

Warum das Streben nach Glück auch unglücklich machen kann und was es mit der Glücksindustrie auf sich hat, darüber philosophiert Wilhelm Schmid.

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Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Was häufig gemeint ist, wenn nach „Glück“ gefragt wird, ist eigentlich „Sinn“. Es ist die Frage nach dem Sinn, die moderne Menschen in wachsendem Maße umtreibt. Viele bevorzugen aber die Rede vom Glück, denn das ist das Wort, das in aller Munde ist und das jeder gut zu verstehen scheint. Sinn hingegen erscheint weniger greifbar, schon die bloße Frage danach macht nicht wenigen Menschen Angst, denn sie ahnen Abgründe, die sich damit auftun können. Die Dringlichkeit des Strebens nach Glück kann als ein Indiz für die Verzweiflung gelten, die die Entbehrung von Sinn hervorruft.

Sinn, der in tiefster Seele zu fühlen ist

Tief innerlich in seiner Seele, in diesem Raum, dessen eigentümliche Energie in der Bewegung von Gefühlen zum Ausdruck kommt, ist ein Mensch berührt vom Sinn, den alle Arten von Beziehungen stiften können, nicht nur momentan, sondern auch über ganze Zeitspannen hinweg und vielleicht das ganze Leben hindurch: Sinn im gesamten Leben. Beziehungen „machen Sinn“, insofern sie Zusammenhänge begründen, erfahrbar in Begegnungen, die gesucht werden, in Gesprächen, die geführt werden, in Umgangsformen, die beachtet werden, beginnend zwischen zweien. (…) Umso mehr jedoch die starke, gefühlte Bindung, die von herausgehobener Bedeutung für das jeweilige Selbst ist und einen innigen Zusammenhang bewirkt, in dem auch gegensätzliche Gefühle ihren Platz haben: Menschen, die Liebe füreinander fühlen, stellen sich die Frage nach dem Sinn nicht mehr – denn sie fühlen sich in dessen Besitz, daran ändern auch gelegentliche Unlustgefühle und Auseinandersetzungen nichts.

An der Fülle von Glücks- und Lebenskunstratgebern, die in größeren Buchhandlungen heutzutage zu finden sind, laufe ich meist achtlos vorbei. Käufliche Heilsversprechen, die den Lesenden meist noch unglücklicher machen: Jeder ist seines Glückes Schmied, wird da oft suggeriert, und wer diese Selbstoptimierung nicht hinbekommt, versagt in unserer Glücksindustrie.

Dieser gewollten Ignoranz meinerseits fiel bislang auch Wilhelm Schmid zum Opfer. Doch da der Philosoph ab und an auch Vorträge in seiner alten Heimat Bayerisch-Schwaben hält, kam ich nicht an ihm vorbei. Eingenommen haben mich: Eine klare, verständliche Sprache, eine Intelligenz, die sich nicht verkleiden muss, ein dem Leben zugewandter Pragmatismus, der Gelassenheit vermittelt und verdeutlicht, warum Glück nicht das Wichtigste im Leben ist.  Eine Lebenskunstphilosophie, die auch zum „Unglücklichsein“ ermutigt. Die zeigt, wie das allseits vorausgesetzte und eingeforderte „Streben nach Glück“ Menschen in die Irre führt, wenn „das Glück“ mit Heilsversprechen, Ansprüchen und Vorstellungen überfrachtet wird.

„Was kann dieses Buch dazu beitragen, dass Sie ihr Glück finden können? Einen Moment des Nachdenkens, sonst nichts. Eine kleine Atempause inmitten der Glückshysterie, die um sich greift. Viele Menschen sind plötzlich so verrückt nach Glück, dass zu befürchten ist, sie könnten sich unglücklich machen, nur weil sie glauben, ohne Glück nicht mehr leben zu können. Fluten von Diskursen brechen über die Menschen herein, um ihnen zu sagen, was das Glück denn sei und was der richtige Weg dazu wäre. Klar ist dabei vor allem eins: Es steht nicht gut um das Glück.“


Bibliographische Angaben:

Wilhelm Schmid
Unglücklich sein. Eine Ermutigung
Insel Verlag, 2012
ISBN: 978-3-458-17559-9

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

2 Gedanken zu „Wilhelm Schmid: Unglücklich sein. Eine Ermutigung.“

  1. Es ist schon grausam, dieser Zwang zum Glück, voll stressig. Wen’s interessiert, meine „Philosophie“: Das Glück stellt sich ein, wenn der innere Kritiker/Antreiber abgestellt ist. Ich lasse hier mal alle Fälle von Krankheiten, Verlusten, etc. außen vor. Glück heißt für mich „entspannte Zufriendenheit“. Mehr brauche ich nicht.

    1. Liebe Almathun,
      ja krankheit, Unfälle, Verluste geliebter Menschen können wir nicht beeinflussen – auch auch den Umgang damit vielleicht in Bahnen lenken, die hilfreich sind. Und bei allem anderen: Man regt sich so oft über unnötigen Käse auf. Eine Erziehung zur Gelassenheit (auch dazu schreibt Schmid Bücher), das ist es…

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