Peter Altenberg: Im Volksgarten

„Im Volksgarten“ erschien erstmals 1896 in der Sammlung „Wie ich es sehe“, Prosaskizzen, die auf Vermittlung von Karl Kraus beim S. Fischer Verlag erschienen.

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Bild: (c) Michael Flötotto

„Im Volksgarten“ erschien erstmals 1896 in der Sammlung „Wie ich es sehe“.
Karl Kraus hatte die Prosaskizzen Peter Altenbergs (1859 – 1919), den er aus dem Kaffeehaus kannte, kurzerhand an den S. Fischer Verlag geschickt. Nach „Wie ich es sehe“ folgten noch weitere Buchpublikationen, dennoch lebte der Bohemien stets am Rande des Existenzminimums. Hier findet sich ein ausführliches Portrait.

»Ich möchte einen blauen Ballon haben! Einen blauen Ballon möchte ich haben!«

»Da hast du einen blauen Ballon, Rosamunde!«

Man erklärte ihr nun, daß darinnen ein Gas sich befände, leichter als die atmosphärische Luft, infolgedessen etc. etc.

»Ich möchte ihn auslassen – – –«, sagte sie einfach.

»Willst du ihn nicht lieber diesem armen Mäderl dort schenken?!?«

»Nein, ich will ihn auslassen – – –!«

Sie läßt den Ballon aus, sieht ihm nach, bis er verschwindet in den blauen Himmel.

»Tut es dir nun nicht leid, daß du ihn nicht dem armen Mäderl geschenkt hast?!?«

»Ja, ich hätte ihn lieber dem armen Mäderl geschenkt!«

»Da hast du einen andern blauen Ballon, schenke ihr diesen!

»Nein, ich möchte den auch auslassen in den blauen Himmel!« –

Sie tut es.

Man schenkt ihr einen dritten blauen Ballon.

Sie geht von selbst hin zu dem armen Mäderl, schenkt ihr diesen, sagt: »Du lasse ihn aus!«

»Nein«, sagt das arme Mäderl, blickt den Ballon begeistert an.

Im Zimmer flog er an den Plafond, blieb drei Tage lang picken, wurde dunkler, schrumpfte ein, fiel tot herab als ein schwarzes Säckchen.

Da dachte das arme Mäderl: »Ich hätte ihn im Garten auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut, nachgeschaut – – –!«

Währenddessen erhielt das reiche Mäderl noch zehn Ballons, und einmal kaufte ihr der Onkel Karl sogar alle dreißig Ballons auf einmal. Zwanzig ließ sie in den Himmel fliegen und zehn verschenkte sie an arme Kinder. Von da an hatten Ballons für sie überhaupt kein Interesse mehr.

»Die dummen Ballons – – –«, sagte sie.

Und Tante Ida fand infolgedessen, daß sie für ihr Alter ziemlich vorgeschritten sei!

Das arme Mäderl träumte: »Ich hätte ihn auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut und nachgeschaut – – –!«

Peter Altenberg

„Im Volksgarten“ ist einer der Sprechtitel auf André Hellers wunderbarer Schallplatte „Bei lebendigem Leib“. Beim Zuhören sieht man die Ballons förmlich in den Himmel verschwinden…eigentlich müssten all die wienerisch-federleicht-melancholischen Skizzen, die Altenberg mit Worten malte, gesprochen gehört werden. Weil man dann auch versteht: Auslassen, loslassen, ist immer schwieriger für den, der von vornherein wenig hat…

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

25 Gedanken zu „Peter Altenberg: Im Volksgarten“

  1. Großartige Geschichte! Bin sehr begeistert davon, wie da alles aufeinander bezogen ist und dennoch nicht „aufgeht“ und natürlich von dem schönen, auf angenehme Weise spöttischen Humor … Vielen Dank und herzliche Grüße!

      1. Ich hatte vielleicht schon mal erwähnt, dass ich meist Schwierigkeiten habe mit der „Moral von der Geschicht“ – aber hier ist sie auf eine ganz wunderbare Weise vorhanden und führt sich dann aber auch wieder selbst ad absurdum, was wiederum die eigentliche Moral sein könnte, wenn nicht gleichzeitig … Und das gefällt mir sehr 😉

      2. Genau…man kann sich da ja zudem mehrere Moralen denken – das fand ich faszinierend. Und dabei eben dieses federleichte – ohne erhobenen Zeigefinger.

  2. Ah, diese lebensweise Melancholie, wie sie einen schwebend leicht herunterzieht und gleichzeitig seltsam fröhlich erhebt, über alle Erdenschwere hinweg. Die Özis ham’s einfach drauf damit.

    1. Treffender kann man das bei dieser Ballon-Geschichte nicht ausdrücken – schwebend leicht! Danke. Ja, und die Össis hatten das – vor allem die Bohemiens der Kaffeehausliteratur. Überwiegend Juden – von den Nazis ermordet, vertrieben, ausgelöscht. Da ging auch eine ganze Sprachkultur – das leicht-herbe, der spezielle Witz – verloren.

    1. Ich mag seine Texte auch sehr, allerdings in Dosen (beziehungsweise Luftballons): Dort, wo er wegen jungen (sehr, sehr jungen) Frauen ins Schwärmen kommt, wird es mir ab und an auch zu schwulstig…
      Aber: Man sollt ihn unbedingt lesen! Und hört man ihn – wie auf der erwähnten LP von André Heller – Wienerisch gesprochen, dann ist das ein Genuß!

      1. Liebe Birgit,
        zu der Sache mit den (sehr, sehr jungen) Frauen: das ist mir in der Tat auch ein wenig (sehr, sehr) ambivalent aufgestossen – mit ’schwülstig‘ hast Du es ja eher noch auf sehr freundliche Art benannt…
        Liebe Grüsse
        Kai

      2. Lieber Kai,
        ja, schwülstig ist noch untertrieben, aber die Passagen habe ich überblättert und mir die Perlen rausgesucht. Freut mich, dass ich Deine Altenberg-Leidenschaft neu erwecken konnte!!!

  3. liebe birgit,
    wie schön, knapp anderthalbjahre später, ein unvhofftes wiedersehen mit dem volksgarten. dieses mal wünsche ich mir ein stück der wiener leichtigkeit – und einen blauen ballon, bloß einen💙
    liebe grüße
    kai

      1. liebe Birgit,

        vielen dank für den blauen ballon 💙er flattert hier lustig im zimmer herum, draußen ist es ihm zu kalt und so neblig, man kann kaum drei meter weit sehen, so erfreut er mich überall im haus

        liebe grüße
        kai

  4. Seit _Jahren_(!) suche ich diese Geschichte! Habe sie vor Ewigkeiten in einem Buch gelesen, konnte mich aber nicht mehr erinnern, in welchem. Heute habe ich es auf gut Glück mit den Suchwörtern „ballon armes mädchen ach hätte ich ihn ausgelassen“ versucht und bin hier gelandet.
    Kann es noch gar nicht richtig fassen …

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