Kurt Tucholsky: Der Mensch

Kurt Tucholsky schrieb diesen Text unter seinem Pseudonym Kaspar Hauser. Veröffentlicht wurde er am 16. Juni 1931 in der „Weltbühne“.

Weil Satire alles darf: Der Mensch. Bild von Birgit Böllinger auf Pixabay

Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.

Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.

Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle.

Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft.

Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es grade noch für möglich hält.

Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die andern auch nicht.

Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, dass er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter.

Der Mensch zerfällt in zwei Teile:

In einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am sichersten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus in Funktion setzt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.

Der Mensch ist ein pflanzen- und fleischfressendes Wesen; auf Nordpolfahrten frißt er hier und da auch Exemplare seiner eigenen Gattung; doch wird das durch den Faschismus wieder ausgeglichen.

Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und haßt die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Haß nennt man Patriotismus.

Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht.

Schwache Fortpflanzungstätigkeit facht der Mensch gern an, und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gerichtspflege.

Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht; weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Jeder Mensch ist sich selber unterlegen.

Wenn der Mensch fühlt, dass er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise; er verzichtet dann auf die sauern Trauben der Welt. Dieses nennt man innere Einkehr. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedne Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.

Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.

Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen läßt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.

Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.

Kurt Tucholsky schrieb dies unter seinem Pseudonym Kaspar Hauser, veröffentlicht wurde es am 16. Juni 1931 in der „Weltbühne“.
Nach Tucholsky darf Satire alles. Also gibt es bei ihm nicht nur Menschen, Sachsen und Amerikaner, sondern auch noch Berliner – einen Vertreter dieser Spezies skizzierte „Tucho“ in seinen Glossen über den Herrn Wendriner. 

Noch mehr von Kurt Tucholsky auf diesem Blog:

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

40 Gedanken zu „Kurt Tucholsky: Der Mensch“

  1. Ruhrköpfe – Dortmund – Hallo, schön, daß du hier bist. Ich bin Annette Mertens - Systemischer Coach + Dipl.-Soz.-Arb. - motorradbegeisterte (Reiseberichts-)Autorin und Dortmunderin. Als Systemischer Coach begegne ich Persönlichkeiten, die zeitweilig gefühlt in einer Sackgasse stecken - sie sind beruflich oder privat unzufrieden. In meinem Blog "Ruhrköpfe" stelle ich dir Menschen aus meiner Region vor, die sich auch mit alltäglichen Dingen auseinandersetzen müssen, doch eins haben sie gemeinsam: Sie sind zufrieden. Sie haben sich auf ihren ganz individuellen Weg gemacht - lebendig, offen, voller Freude und Neugier auf jeden Moment. Ich möchte dich mit ihren Geschichten inspirieren. Falls du dir dabei professionelle Unterstützung wünschst, kannst du mich gerne als Systemischer Coach buchen und wir erarbeiten zusammen Schritt für Schritt deinen individuellen Weg. Weitere Infos findest du unter www.annettemertens.de coaching(at)annettemertens.de
    Ruhrköpfe sagt:

    😀 LG Annette

  2. auxkvisit – Augsburg – Guten Tag, Hallo und Hej! Ich bin Miriam, Artdirektorin aus Augsburg und schreibe auf Auxkvisit über das Leben ♥ in ♥ Auxburg. Schwerpunkte: Lifestyle & Kultur. In den Stadtblog verlaufen sich gerne auch Tinder-Geschichten. Wie das Leben ü30 eben so spielt!
    auxkvisit sagt:

    „Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.“ 😀
    Bin gerade etwas erschrocken, dass „ewig“ und „wenig“ fast aus den gleichen Buchstaben bestehen.

    1. Das wäre mir jetzt ohne Deinen Kommentar gar nicht aufgefallen – stimmt, das gibt noch mehr Stoff nachzudenken. Schreckliche Vorstellung: Ewig wenig, das ewige Nichts 🙂

    1. Ja, der Tucholsky mit seinem Röntgenblick – einfach unnachahmlich…

  3. Toller Beitrag, Birgit, zumal ich den Kurtl sehr mag. Schräges Foto auch ;-))))
    Eine Anmerkung meinerseits: Der Mensch macht manchmal auch gute Musik ;-))))
    Liebe Grüße nach Augschburg und ein schönes Wochenende,
    Gerhard

    1. Beim Foto habe ich erst gezögert – ob ich dem Adenauer da nicht ein wenig Unrecht tue. Aber schließlich war er ja auch bloß ein Mensch 🙂
      Ja und der Mensch macht Musik oder Van Halen 🙂 Oder sogar dass hier: Und der Mönsch bleibt Mönsch nöhlnöhlnöhl: https://www.youtube.com/watch?v=-IERMGZuLM4

      Schöne Grüße nach München, Stadt des Karl-Valentin-Museums (da muss ich nächstens hin)!

      1. Oje, das Valentin-Muisäum ist schon ein arger Ramschladen, ich glaub, der alte Karl wär da nicht so begeistert gewesen…

  4. Kurt Tucholsky ist eines meiner Grundnahrungsmittel. Ohne seine Absonderungen sowohl lyrischer als auch satirischer und prosaischer Natur wäre ich schon ein wenig tot. Dank ihm verstand ich den Menschen geringfügig besser und mich überhaupt nicht mehr. Aber das kann daran liegen, dass ich eine Frau bin:
    Ich kann nicht denken..😅
    Danke….für Kurt, ich hab jetzt richtig gute Laune.
    Hab ihn viel zu lange schon nicht mehr verkonsumiert…✨😊

    1. Freut mich, dass Dir der Kurt heute gute Laune machte 🙂 Eigentlich bräuchte man wirklich öfter eine Dosis von ihm. Und der Text ist doch auch tröstlich: Frauen können zwar nicht denken, aber ist doch besser als nicht wollen 🙂

      1. Könnenwollen ist besser als Könnensollen und Können ist der Feind des Müssens.
        In diesem Sinne…lassen wir uns das Müssen nicht verdrüssen.
        Lieber…ach, was soll’s…Schluss reimt sich nicht, ich geh‘ lieber wandern….😀✨

      2. Auch ohne Reim: Herzhaftes Gelächter von meiner Seite! Wandern können sollte ich heut auch, muss aber nicht, weil Wetter schlecht 🙂 So sitz ich lieber kurz hier und schütt mich aus vor Lachen 🙂

      3. Psst…ein Feengeheimnis: Kurt und die Fee burzeln am gleichen Tage und auch der Aszendent (Löwe/-in) ist identisch.
        Vielleicht liegt es ja daran, dass seine Sprache mir manchmal ist, als spräche da wer mittenmang mir aus der Seele hinaus.

  5. Was für ein schöner Samstagsbeginn mit deinem Beitrag! Die Fahne als Organ hat allerdings noch keinen Einzug in die Anatomielehrbücher gefunden, dieser Erkenntnis hinkt man demnach immer noch hinterher.
    Doch auch manches andere über den Menschen ist sehr lehrreich und war mir ebenfalls neu 🙂

    Herzliche Frühlingsgrüße an dich von
    Birgit

    1. Liebe Birgit,
      das mag daran liegen, dass der zum Organ gehörige Fahnenarm in jüngster Zeit wegen Kaum-Nutzung etwas verkümmerte – daher hinkte die Forschung dem Tucholsky hinterher. Der Fahnenarm war kurzzeitig abgelöst durch den Tennisarm und die Golfschulter und eigentlich nur noch bei Fußballfans und WM-Party-Gästen in Gebrauch. Nachdem es jetzt jedoch – vor allem in Dresden, Leipzig, aber auch an anderen Orten – zu einem erhöhten Gebrauch des rechten Fahnenarms kommt, wird auch dem Organ an sich wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Du kannst also damit rechnen, es in neueren Lehrbüchern zu finden.

      Liebe Frühlingsgrüße zurück!
      Birgit

    1. Hallo Wortgestoeber – ja, dieser Text ist wahrhaft zeitlos! Herzliche Grüße!

    1. Dank zurück…ich hoffe, die machen das fertig – und schreiben dann Tucholsky auch noch richtig 🙂

      1. Schau auf den Titel im Film: Tucholski…aber der Film ist gut 🙂

  6. Herrlich!!! (Übrigens: Ich glaubte sicher zu wissen, der Adenauer sei schon nicht mehr – dabei hat er sich offenkundig nur versteckt. Wer lauert denn da noch so, da unten bei Euch, unterm Rhododendron??)

    1. Tja, Du würdest erschrecken, wer alles bei uns hinter den Büschen lauert. Kürzlich titelte die Süddeutsche zu irgendeinem Franz Josef Strauß-Dings: „Er ist wieder da“. Was ja ziemlich fies ist, wenn man den Bezug zum gleichnamigen Buch herstellt. Außerdem war FJS nie weg. Genauso wie der „Kini“ – also nicht der King of Rock`n`Roll, sondern „nur“ die bayerische Variante. Die leben alle noch, mindestens unterm Rhododendron (furchtbarer Name, und Freunde von mir wohnen sogar in einem Weg dieses Namens – die dürfen sich nicht wundern, wenn sie nie Post von mir bekommen).

  7. Vera Komnig – Ich bin diplomierte Grafik Designerin und freie Künstlerin, die für ihr Leben gern in Farbe schwelgt, schwimmt, sie atmet und "trinkt", spürt und riecht. Ich liebe es, kreativ schöpferisch tätig zu sein und dem "Flow" zu folgen und gehe gerne auch mit "ungewöhnlichen" Materialien um.
    Vera Komnig sagt:

    Ich liebe Tucholsky. Habe deinen Bericht mit breitem Lächeln gelesen….und schmunzel immer noch….das ist Tucholsky für mich 🙂 😀

  8. Der Mensch ist vor allem immer selbst.
    Meistens -verliebt bis -süchtig, manchmal bis zur -überschätzung aber oft auch -zerstörerisch in seiner Passion.Wenn er älter wird und früher in der Schule gut aufgepasst hat ersetzt er das selbst durch das Wort ego. Und die Passion wird Obsession und -zentrisch, manchmal sogar -manisch. Schade eigentlich. Denn wenn er lernte er selbst zu bleiben und dabei -los zu lassen und zu werden hätte viel mehr vom Leben.

    Danke für die Tucholski Zitate. Muss wirklich mal wieder mal was richtiges lesen 😉

    1. Was Richtiges von Tucholsky o.a. zu lesen, ist immer gut. Danke für die Ergänzungen, auch sehr passend.

  9. Wirklich,ein guter Text! Bitter! Stanislaw J.Lec setzt noch einen drauf : „Mensch : persona non grata.“ Punkt.Kein Fragezeichen. Der Mensch als unerwünschte Person,in Ungnade gefallen.Das kann man drehen und wenden und aus verschiedensten Perspektiven betrachten.Und es tut weh.
    Ich mag meinen Glauben an die Menschheit dennoch nicht verlieren,und das ist irgendwie ja auch ein Geschenk!
    LG

    1. Bitter, aber auch mit einem Augenzwinkern – auch wenn Tucholsky am Ende doch Humor und Zuversicht verließen. Aber das waren auch nochmal ganz andere Zeiten, in denen er lebte.

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