#VerschämteLektüren (9): Asarhaddon + Sardur oder: Wir hatten ja nichts

Glutäugige Prinzen, blutrünstige Priester und jede Menge Gemetzel: Viel Schmackes haben die verschämten Lektüren von Elisabeth Dietz zu bieten.

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Glutäugige Prinzen vernebelten die Sinne von Schulmädchen. Bild von Maaark auf Pixabay

„Bei den Göttern, was du sagst, ist wahnsinnig. Wir schlafen mit unseren Sklaven, ja, aber doch nicht mit –“ Sardur versagte die Stimme und Schweiß stand ihm auf der Stirn, „– niemals mit einem Freund oder einem Ebenbürtigen“, beendete er heiser den Satz.
Asarhaddon lächelte überlegen. „Dann darfst du getrost deine Bedenken beiseite legen, denn wir sind ja weder Freunde noch bist du mir ebenbürtig.“

SCHON DAS KURZE ZITAT klingt vielversprechend – da steuern wir doch auf eine ECHTE Schmonzette hin. Zu verdanken haben wir dies Elisabeth Dietz vom BÜCHER Magazin. In den einschlägigen Social media-Kanälen besser bekannt als (ed) – schlagfertig, äußerst humorvoll und konstruktiv kritisch. Und wie der Kurzbeschreibung des Blogs zu entnehmen ist, neben Graphic Novels und Internetangelegenheiten auch zuständig für Hochliteratur sowie Abseitiges – und das beweist die „brillante Erzählerin“ (in der Tat!) auch bei #VerschämteLektüren:

„Kommt, Kinder, rückt näher ans Feuer. Nicht zu nah! Und gebt mir die Schnabeltasse. Nein, die andere! Doch, darf ich. Vor allem nachmittags. Der Dokter hat mir gar nichts zu sagen. Also. Als ich jung war, so richtig erbärmlich jung, war das Internet hierzulande weitgehend unbekannt. Richtig, das heißt: kein Youporn. Leider auch kein Scarleteen. Kein Tumblr. Tja.

Im Sachkundeunterricht lehrte man uns die Unterleibsmechanik von Menstruation, Zeugung und Geburt. Psychologisch relevante Informationen bezogen wir aus einem Aufklärungsbuch, das meine Mutter mir aus den Fünfzigern heruntergereicht hatte („Dass ein Mädchen eine junge Frau geworden ist, erkennt man daran, dass sie zu ihrer Freundin nicht sagt ‘Dein Hut gefällt mir nicht!‘, sondern ‘Dein anderer Hut gefällt mir besser!'“) und zerfledderten Ausgaben der Coupé, die wir unter den Matratzen von Jugendherbergsbetten fanden. Das nicht vollkommen heterosexuelle Kind orientierte sich an Carsten und Käthe aus der „Lindenstraße“ und Billy und Andrea aus dem „Marienhof“. Nichts hatten wir.

Dann fand Karo Kaltschnee, die immer wacher und weiter war, in der Bibliothek des Gymnasiums „Der König von Assur“ von Jutta Ahrens. Der Text ging durch die sechsten Klassen wie ein Feuer durch eine Scheune im Hochsommer mittags um halb zwei. Ähem.

„Der König von Assur“ spielt 660 vor Christus und erzählt die Geschichte des assyrischen Herrschers Asarhaddon. Der Mann ist anmutig, sarkastisch und höchster Priester des grausamen Gottes Aschschur, dem zu Ehren er Sklaven und Kriegsgefangene tagelang raffiniert zu Tode foltert. Der Plot – hm. Stellt euch Schlachten vor, brennende Städte, Staatsoberhäupter, die einander damit drohen, die Straßen des jeweils anderen mit den Häuten der Bevölkerung zu pflastern, und die Pest. Und Sex. Sex in Palästen, Pferdeställen und Seuchenhäusern, Sex in Gefangenschaft, in der Wüste und in brennenden Städten. 846 Seiten Sex und Gewalt, rauschhaft, ausufernd, getragen von einer ungeheuren Liebe zum Detail.

Ob uns das erschreckt hat? Pustekuchen! Wir schlugen einen Porno auf und sahen eine Romanze. Asarhaddon ist ein Monster auf der Suche nach Liebe, wir waren elf, wir fühlten mit ihm. Auf Seite 458 begegnet er Sardur, einem stolzen, dunkeläugigen churritischen Prinzen, und die Beziehung dieser beiden ist so flackernd wie die von Billy und Andrea niemals hätte werden können. (Obwohl Andrea Billy einmal in einer heißen Sauna einschloss, ich glaube, aus Eifersucht. Es wurde aber niemand verletzt.) „Asarhaddon + Sardur“ schrieb ich in meine Schulhefte. „Asarhaddon + Sardur, Asarhaddon + Sardur, Asarhaddon + Sadur“. All die Nebenfiguren, die Jutta Ahrens so detailverliebt aufschlitzt, verbrennt, zertrümmert, pfählt, häutet und in heißem Öl erstickt, interessierten mich nicht, die Sinnlichkeit der Folterszenen beunruhigte mich erst viel später.

Ein Buch, das innerhalb weniger Wochen von sämtlichen Kindern eines Jahrgangs ausgeliehen wird, erregt Aufmerksamkeit. Eines Tages war „Der König von Assur“ verschwunden. Der zuständige Lehrer beantwortete die Frage nach seinem Verbleib mit einem gemeinen Lächeln. Zwei Tage später verschwanden auch „Das Schwert der Amazone“ und „Die Frauen von Isis“ von Marion Zimmer-Bradley. Die Frage nach ihrem Verbleib beantworteten wir mit einem gemeinen Lächeln. Beide Bücher sind hier. In meinem Regal. Sicher ist sicher.“

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Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

17 Gedanken zu „#VerschämteLektüren (9): Asarhaddon + Sardur oder: Wir hatten ja nichts“

  1. Den Satz von der Freundin und dem Hut kenne ich auch. Stammt der nicht aus dem Buch „Woher kommen die kleinen Mädchen und Buben?“ Ich erinnere mich auch den Satz: „Während man sich auszieht, sollte man sorgfältig überlegen, ob man überhaupt ein Kind haben möchte.“ Andernfalls: Finger weg!
    Ich hatte noch weniger. Weder Lindenstraße noch den König von Assur. Bloß Amber. Frühher war alles viel schlechter. *Jammerjammerjammer*

    1. Früher. Ja, das war noch was. Aus dem pädagogischen Reservoir meines Großvaters fallen mir zu Deinem Kommentar dazu zwei Sätze ein: „Mädchen, schlag die Augen nieder, denn es geht ein Mann vorüber.“
      Und: „Frauen rauchen nicht auf der Straße.“
      Ja, wo kämen wir da auch hin!

  2. Göttlich! Ich will dieses Buch bittebitte kaufen – aber nur, wenn ich´s im Doppelpack mit den original Jugendgefühlen dazu kriegen kann! Und diesen anscheinend sehr populären Ratgeber für junge Damen muss ich nachträglich wohl auch noch anschaffen. Dass ich den nicht hatte, erklärt vielleicht so einige Fehlentwicklungen in meiner Biographie. (Ich erwähnte an früherer Stelle schon einmal, dass ich die Rubrik #VerschämteLektüren einfach göttlich finde, nicht wahr??! UND lehrreich – wie immer.)

    1. Forever young – wetten, dass beim Lesen des „Hohepriesters“ – so heißt das Buch laut Elisabeth Dietz wohl inzwischen – die passenden Gefühle dazu kommen, wenn man die entsprechenden Blogbeiträge noch im Kopf hat?
      Und zu den Damenratgebern überlege ich mir tatsächlich mal einen gesonderten Beitrag – zur Kompensation auch meiner Fehlentwicklungen 🙂

  3. Niemand weiß wie cool das BücherMagazin ohne „ed“ wäre, nur ok cool wahrscheinlich, soll dieses kluge, gewitzte Mädchen doch gelesen haben was sie will.

  4. Wunderbar. Da tut es mir richtig leid, dass ich die sechste Klasse damals schon weit hinter mir gelassen und das verpasst habe. Für mich war die „verschämte Lektüre“ ein paar Jahre zuvor „Salz auf unserer Haut“ von Benoîte Groult, das für uns Teenies damals ein regelrechter Porno war, mit dem uns die Lehrer nicht gerne rumsitzen und rot werden sahen. Hach, was für ein toller Hashtag! Danke, dass ich den über Deinen Beitrag gefunden habe! Spannende Sache.

    Ute

    1. Oh, an das „Salz“ kann ich mich noch gut erinnern – ich war zwar, als es rauskam, aus dem Alter raus, dass es mir hätte jemand als „anrüchig“ vorhalten können – aber in den Monaten danach wollten verdächtig viele meiner Freundinnen unbedingt in die Bretagne zum Urlauben 🙂 Und wie bereits getwittert: Die #VerschämtenLektüren sind keinesfalls geschlossen, falls da jemand noch einen Beitrag beisteuern will, sehr gerne… Herzliche Grüße, Birgit

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