Sloan Wilson: Der Mann im grauen Flanell

Wer Richard Yates und John Cheever liest, dem wird auch dieser Roman gefallen. Sloan Wilson hinterfragt den amerikanischen Traum.

„Walkers Vorzimmer war beeindruckend. Als Tom es betrat, wusste er, dass er für eine Stelle ernsthaft in Betracht gezogen wurde, vielleicht sogar für eine ziemlich gute. Walker hatte zwei Sekretärinnen, die eine offenkundig wegen ihres Aussehens, die andere der Nützlichkeit wegen ausgesucht.“

Sloan Wilson, „Der Mann im grauen Flanell“


Wer Richard Yates mag und wer John Cheever liest, der wird auch an diesem Buch Gefallen finden. Man sieht den idyllischen Vorort vor sich, in dem die aufstrebenden jungen Leute wohnen, die Pendler mit ihren weißen Krägen und im grauen Flanell-Anzug, am Bahnhof stehen winkende Gattinnen im Petticoat, die den Gatten zum Arbeiten in die Metropole entlassen. Abends ertönt das sanfte Klirren der Cocktail-Gläser. Ein Paar, zunächst auf den ersten Blick erinnernd an Doris Day & Rock Hudson. So locker der Ton, so leicht die Sprache. Darunter lauert jedoch ein Melodram à la Douglas Sirk.

Die Raths sind ein nettes Paar – aber ständig in Geldnöten, jonglierend in einem leicht maroden Haushalt, dahintuckernd in einer veralteten Auto-Kiste. Tom arbeitet bei einer gemeinnützigen Stiftung. Beide wollen mehr, beide wollen aber auch „ehrlich“ bleiben. Ehrlichkeit ist ein Schlüsselwort dieses Romans.

Denn Tom, der den Zweiten Weltkrieg als aktiver Soldat miterleben musste, befindet sich bereits unbewusst in einem zweiten schweren Konflikt: Wie authentisch bleiben, wenn man bereits mitten drin ist im Kapitalismus- und Leistungsgetriebe?  Der Krieg war, so wird deutlich, eine tragische Zäsur. Seine Konsequenz jedoch ist keine Neuorientierung der Gesellschaft, keine Neuordnung. Tom bleibt im Hamsterrad.

Das Erbe bringt nur neue Zwänge

Auch ein Erbe bringt keine Erleichterung, sondern neue Zwänge – Erbschaftssteuern, Erbstreitigkeiten, Grundstücksspekulationen. Vom schlecht bezahlten Job in der Gemeinnützigkeit wechselt Tom als PR-Mann zu einem Großunternehmer. Der will, für die eigene Reputation, eine Stiftung für psychische Gesundheit gründen. Aus dem Nine-to-Five-Job wird ein Rund-um-die-Uhr-Manager-Dasein, man fürchtet um die psychische Gesundheit der Protagonisten mit.

Natürlich löst sich alles in Wohlgefallen auf, die Raths sind als Paar einfach zu nett. Zurück bleibt ein schaler Nachgeschmack. Im scheinbar leichten Lese-Cocktail war zuviel Hochprozentiges.

„Der Mann im grauen Flanell ist ein Buch über die Fünfziger“, schreibt Jonathan Franzen in seinem Nachwort zur Neuauflage. „Die erste Hälfte lässt sich immer noch zum Vergnügen lesen, die zweite als Ausblick auf die darauf folgenden Sechziger. Schließlich vermachten die Fünfziger den Sechzigern ihren Idealismus – und ihre Wut.“

Der 1955 erschienene Roman würde sofort ein Bestseller, der Titel „The Man in the Grey Flanel Suit“ zu einem feststehenden Begriff. Bereits 1956 wurde der Roman verfilmt mit Gregory Peck in der Hauptrolle.
Informationen des Verlags zum Autor: „Sloan Wilson wurde 1920 in Norwalk, Connecticut geboren. Mit achtzehn segelte er einen Schoner von Boston nach Havanna. Er studierte in Harvard, diente im Zweiten Weltkrieg in der United States Coast Guard und arbeitete als Reporter und Hochschullehrer. Er hat fünfzehn Bücher veröffentlicht, darunter ›Der Mann im grauen Flanell‹ (1955) und ›A Summer Place‹ (1958). Sloan Wilson starb 2003 in Colonial Beach, Virginia.“


Bibliographische Angaben:

Sloan Wilson
Der Mann im grauen Flanell
Übersetzt von Eike Schönfeld
Dumont Verlag, 2013
ISBN: 978-3832196783

Autor: Birgit Böllinger

Büro für Text&Literatur: Pressearbeit für Verlage, Autorinnen und Autoren, Literatureinrichtungen

6 Gedanken zu „Sloan Wilson: Der Mann im grauen Flanell“

    1. Der Film ist etwas „hach“-iger als das Buch – will meinen: Gregory reißt ihn raus, im Film fehlt der bittere Unterton und manches andere, was das Buch prägt.

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